Drei Tage diskutierten 60 Vertreter*innen aus 40 evangelischen Archiven und Bibliotheken über die Frage, welche Rolle ihre Einrichtungen für die demokratische Kultur in Deutschland spielen. Vier Grundsatzreferate beleuchteten das Tagungsthema aus den Perspektiven Theologie, Recht, Archivwissenschaft und Bibliothekswissenschaft.
Rückblick: 15. Jahrestagung der AABevK "Demokratie braucht verlässliche Information: Kirchliche Archive und Bibliotheken als Organisationen demokratischer Kultur"

60 Vertreterinnen und Vertreter aus 40 Mitgliedseinrichtungen wurden am 29. September 2025 von Dr. Mareike Rake, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, in Stuttgart zur Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft begrüßt. Die evangelische Kirche sei dem Wort verpflichtet, stellte Rake in ihrer Begrüßung fest, daher sei die evangelische Kirche ein besonders sensibler Akteur der Demokratiebildung, und diese Verantwortung würde von den evangelischen Archiven und Bibliotheken in vielfältiger Weise wahrgenommen. Rainer Schiffbauer, Oberkirchenrat der gastgebenden württembergischen Landeskirche, betonte in seinem Grußwort, dass die Demokratie auf die Verlässlichkeit von Daten angewiesen sei. Diese würden von den evangelischen Archiven und Bibliotheken zuverlässig für jedermann bereitgestellt, insofern leiste die Kirche einen erheblichen Beitrag zur demokratischen Gesellschaft.
In den drei folgenden Vorträgen beschäftigten sich Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen mit dem Tagungsthema aus vier verschiedenen Perspektiven: Prof. Dr. Reiner Anselm stellte den Zusammenhang zwischen Informationszuverlässigkeit, Gerechtigkeit und Demokratie her. Für die evangelische Kirche könne die Demokratie nur als Rechtsstaat gedacht werden. „Das durch Archive und Bibliotheken tradierte Wissen dient als Orientierungsmaßstab für verantwortliche, an Rechte gebundene Gestaltung des Politischen.“ Prof. Dr. Heinrich de Wall bezeichnete Archive und Bibliotheken als Orte informationeller Demokratie, die einen unverzichtbaren Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung leisteten. Meinungs- und Informationsfreiheit seien in der freiheitlichen Demokratie von zentraler Bedeutung, und hier hätten Archive eine besondere Verantwortung. Bei ihrer Tätigkeit hätten kirchliche Archive große Freiheiten, da sie nicht grundrechtsgebunden seien. Matthias Razum erörterte die gesellschaftlichen Aufgaben der Archive, namentlich für Partizipation, Identitätsbildung und den Schutz vor Geschichtsverfälschung. Archive machten Bürger zu aktiven Subjekten historischer Prozesse – etwa durch Familienforschung oder Bürgerarchive. Jedoch verändere der digitale Wandel den Ort und die Art des demokratischen Diskurses. Dies stelle die Sichtbarkeit der kirchlichen Archive und Bibliotheken in Frage, denn was nicht bei Google gefunden würde, existiere nicht. Razum forderte die evangelischen Archive und Bibliotheken auf, für die Sichtbarkeit ihrer Daten im Internet zu sorgen, wollten sie nicht marginalisiert werden. Archive und Bibliotheken müssten ihr Kulturgut digital verfügbar machen. Prof. Robert Zepf erläuterte den Zusammenhang zwischen Bildung und demokratischer Gesellschaft heraus und stellte die ethischen Grundsätze im deutschen und internationalen Bibliothekswesen vor. Darin würde den Bibliotheken die Aufgabe zugewiesen, allen Bürgern die Teilhabe am kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben zu ermöglichen und die Mündigkeit in einer weltoffenen und demokratischen Gesellschaft zu stärken. Bibliotheken sollten sich überall dort einmischen, wo demokratische Grundwerte wie die Menschenwürde oder das Recht und Meinungs- und Informationsfreiheit bestritten oder verletzt würden. Die kirchlichen Bibliotheken ermutigte Zepf, ihre Rolle in der pluralistischen Gesellschaft selbstbewusst und aktiv wahrzunehmen und insbesondere christliche Dokumente und Inhalte auffindbar und zugänglich zu machen. Die staatlichen Bibliotheken könnten bei den Herausforderungen der digitalen Transformation strategische Partner für die kirchlichen Bibliotheken sein.
In den folgenden zwei Tagen hielten sechs Referentinnen und zwei Referenten aus dem kirchlichen und nicht-kirchlichen Archiv- und Bibliothekswesen Fachvorträge aus der Praxis. Sabrina Heeren-Simon, Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin, beschrieb eindringlich die möglichen psychischen Belastungen bei der Arbeit mit Archivalien und betonte die Notwendigkeit, problembewusst Archivnutzung zu begleiten. Dr. Alexandra Lutz, Landeskirchliches Archiv Nürnberg, erläuterte das gegenwärtige Projekt zur Digitalisierung von Findmitteln und Archivgut. Die Erreichbarkeit archivischer Informationen über das Internet sei ein wichtiger Weg zu Transparenz und Teilhabe. Ilona Schröder, Landeskirchliches Archiv Düsseldorf, stellte die Digitalisierung und Online-Stellung des fotografischen Nachlasses von Hans Lachmann als Beitrag zur Freiheit der Informationsbeschaffung in der Bundesrepublik dar. Christina Neuß, Archiv und Bibliothek der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, unterstrich die Wichtigkeit, nicht-amtliches Archivgut zu übernehmen und bereitzustellen, um die amtliche Überlieferung anzureichern und zu ergänzen. Am Beispiel von Pfarrern der Wendezeit zeigte sie, dass sich in dieser Überlieferung neue Perspektiven auf den gesellschaftlichen Wandel eröffneten. Dr. Boryano Rickum, Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg, sprach grundsätzlich über die demokratiefördernde Aufgabe und Funktion öffentlicher Bibliotheken. Dr. Frank Seeliger, TH Wildau, warb für einen verantwortungsvollen Einsatz künstlicher Intelligenz in Bibliotheken. Regine Beckmann von der Staatsbibliothek zu Berlin, stellte die Möglichkeiten und Grenzen maschineller Verfahren in der bibliothekarischen Inhaltserschließung dar und plädierte dafür, sich nicht ausschließlich darauf zu verlassen. Kerstin Wölk, Kirchliche Bibliothek Bremen, veranschaulichte die Bandbreite der bibliothekarischen Öffentlichkeitsarbeit an diversen Beispielen aus ihrem Zuständigkeitsbereich und machte deutlich, wie vielfältig kirchliche Bibliotheken in die Öffentlichkeit hineinwirken können.
In der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft gaben die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Dr. Mareike Rake sowie die Vorsitzenden des Archivverbands, Dr. Henning Pahl, und des Bibliotheksverbands, Bettina Schmidt, ihre Tätigkeitsberichte. Ingrun Osterfinke und Eva-Susanne Graffmann wurden in die stellvertretende Leitung der beiden Verbände gewählt.
Am Rande der Tagung fand die feierliche Verabschiedung des Geschäftsführers der Kirchenbuchportal GmbH, Harald Müller-Baur, statt. Dr. Henning Pahl, Leiter des Verbands evangelischer Archive, dankte ihm dabei im Namen der anwesenden evangelischen Archivarinnen und Archivare für den Aufbau des zentralen deutschen Kirchenbuchportals im Internet. ARCHION habe sich unter seiner Regie zu dem erfolgreichsten Digitalprojekt der Evangelischen Kirche in Deutschland entwickelt.